Der erste Urlaub nach dem Jahr Auszeit führte mich – wie bereits zuletzt erwähnt – nach Italien. Es ist schon sehr praktisch, in Amsterdam zu arbeiten: Ich konnte von der Arbeit aus direkt zum Flughafen. Was für ein Riesenvorteil, direkt von Amsterdam aus nach Turin reisen zu können! Hatte ich beim letzten Flug einige Tage zuvor noch Verspätungen in Kauf nehmen müssen, blieb ich diesmal verschont: Während ein Sturmtief über Europa fegte und auch in Schiphol zahlreiche Flüge verspätet waren oder ausfielen, reiste ich pünktlich ab. An- und Abflug waren zwar sehr wackelig, aber ansonsten klappte alles wunderbar.
Ich fühle mich in den Niederlanden bereits sehr wohl; Italien ist für mich das reinste Heimspiel, da ich die Sprache besser kann. Da bin ich beinahe zu Hause. Turin habe ich zwar bisher nur einmal besucht, die Stadt hat jedoch eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt: Ohne die Turiner hätte ich nie Italienisch gelernt. In den 1990ern habe ich so viele italienische Esperantosprecher kennengelernt, die meisten davon aus Turin, dass ich unbedingt meine Italienisch-Grundkenntnisse aus der Schulzeit auffrischen und ausbauen wollte. Turin war zwar nicht das eigentliche Ziel meines Urlaubs; um entspannt zu reisen, hatte ich mir für eine Nacht ein Hotel gesucht. Es stellte sich als sehr gute Wahl heraus, die Angestellte aus Rumänien war sehr freundlich.
Die Weiterfahrt am nächsten Tag klappte problemlos; ich nahm einen direkten Zug von Torino Porta Nuova nach Ivrea. Unterwegs in Chivasso stieg, aus Mailand kommend, eine litauische Esperantoband ein, die ich schon von früher kannte. Beim ersten gemeinsamen Umstieg kamen noch weitere Leute hinzu und in Verres waren wir schon ein gutes Dutzend Leute, die gemeinsam den Bus bis nach Brusson nahmen.
Im Aostatal sieht man eine Menge Französich – kein Wunder, ist man hier schließlich im Dreiändereck Italien/Frankreich/Schweiz. Landschaftlich ist das sowieso toll. Unter kamen wir in einem schönen Haus namens La Ciamusira. Das Essen gefiel mir ebenfalls. Wie sich beim Plaudern mit den Angestellten herausstellte, waren auch hier zwei Rumänen beschäftigt. Ich musste natürlich mit meiner Musiksammlung angeben und erwähnte die moldawische Band Zdob şi Zdub, deren Lied Bunǎ Dimineaţa ich Anfang 2009 im russischen Musikfernsehen entdeckt hatte und deren Musik ich ansonsten von Russendisko/Balkanbeats-Veranstaltungen kannte. Das kam gut an! Die beiden kamen aus einer Region nahe der Grenze zu Moldawien und sprachen laut eigener Angabe denselben Dialekt wie im Nachbarland.
Drei Nächte habe ich als DJ gearbeitet. (Was ich aufgelegt habe, läßt sich bei Twitter nachlesen – ich habe es zumindest in zwei Nächten zeitgleich veröffentlicht.) Beim letzten Mal waren auch die Rumänen dabei und es freute mich, dass sie – wie schon vorher bei einer Abendveranstaltung – einfach mitfeiern. Das Ideal der Völkerverständigung, bei der alle Menschen gleichwertig sind und nicht nach Muttersprache oder Bruttoinlandsprodukt ihres Herkunftslandes beurteilt werden, hier zeigte es sich ein weiteres Mal im kleinen.
Das von mir in Amsterdam entdeckte Lied „Perdido en el exceso“ von Captain Planet (featuring Paco Mendoza) vom Album „Esperanto Slang“ erwies sich tatsächlich als der erhoffte Volltreffer. Es passte gut in mein Repertoire und kam jedesmal gut an.
Ein Konzert im letzten Jahr war einer der schönsten Tage in meinem Leben geworden. Doch auch das diesjährige Musikprogramm konnte sich sehen lassen: Ein Konzert mit Pop und Folklore ukrainischer Herkunft (ich trat als Gastmusiker mit Ukulele auf!), besagte Band aus Litauen, die Tanzmusik machte, eine Liedermacherin, ein Ball mit Liveband Folktänzen, klassische Musik und schließlich Rock – das war eine bunte Mischung und ich habe nichts gehört, das schlecht war.
Über eine Sache habe ich mich noch besonders gefreut: In der Generation junger Leute, die anwesend war, waren diejenigen, die aktiv waren, Arbeitstreffen abhielten und etwas organisierten, dieselben, die kräftig feierten. Und da sage noch einer, die jungen Erwachsenen würden sich für nichts mehr interessieren – von wegen! Damals, in den 1990ern, haben wir das genauso gemacht!
An einem Tag wollte ich mit einigen Freunden mittags auswärts essen gehen. Wir machten uns zu Fuß nach Arcesaz auf. Dabei habe ich dann zum ersten Mal in meinem Leben die völlig unwirkliche Szene erlebt, dass mir in Italien (!) jemand sagte, es gebe nichts mehr zu essen (!!) und er auch keine Möglichkeit sah, etwas zu improvisieren (!!!), während ringherum Leute aßen. Zum Glück hatten wir im Nachbarort Brusson mehr Erfolg. Jetzt merkte man den Nachteil, wenn eine Region voll auf Tourismus in einer Saison eingestellt ist: In der restlichen Zeit im Jahr ist man auf nichts vorbereitet und viele Restaurants haben zu.
An einem Ausflug zur Festung von Bard habe ich teilgenommen. Das war zum Glück am Samstag nachmittag und die Fastenzeit war vorbei. Auch wenn ich sie dieses Jahr größtenteils ohne große Anstrengung durchgehalten hatte, waren die letzten Tage in Italien beim Anblick des tollen Nachtischs sehr schwer gewesen. Auf der Festung, bei der darauf hingewiesen wurde, dass hier Szenen für den aktuellen Kinofilm „Avengers: Age of Ultron“ gedreht worden waren, gönnte ich mir jedenfalls endlich wieder etwas Süßes. Ein Hochgefühl, wieder einmal all die Wochen ohne überstanden zu haben!
Man merkt es aus meiner Erzählung: Ich habe mich so richtig wohl gefühlt. Mir ist bewusst, wie groß der Unterschied im Vergleich zum Vorjahr ausfällt: Jetzt war ich entspannt, bei mir selbst.
Am letzten, internationalen Abend präsentierte ich mit einer Freundin zwei Lieder mit Gesang und Ukulelen. Nach einer recht zünftigen Feier in der Nacht packte ich am Mittag meine Sachen und reiste nach Turin zurück, um mich am Abend mit einigen Leuten auf eine Pizza zu treffen. Das war ein gelungener Ausklang.
Am nächsten Morgen fuhr ich zum Flughafen und weiter ging’s in Amsterdam. Abends war ich wieder im Ukuleleclub.
Für mich war es der beste Osterurlaub seit 15 Jahren. Ich kann mich nicht erinnern, seitdem um diese Zeit im Jahr so glücklich gewesen zu sein.
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