Das Überwinden der Bitterkeit

Ich bin auf der Suche nach dem verlorenen Groove. War ich früher in derselben Situation ratlos und verzweifelt, so habe ich inzwischen erkannt, dass der Zugang zu meinen Gefühlen – und zwar allen! – ein Schlüsselement zum Ziel ist. Meine Heldenreise hat bislang einiges zu bieten: Ich stelle mich den inneren Dämonen, erkenne falsche Vorbilder ebenso wie die eigenen Stärken und bekomme unerwartete Unterstützung. Selbstachtung hat entscheidend mit meiner eigenen Kraft zu tun und sie wird mich letzten Endes zurück zu mir selbst führen.

Gerade deswegen sind mir Gefühle und der selbstbestimmte Zugang zu ihnen sehr wichtig. Darum möchte ich mich diesmal mit Bitterkeit befassen.

Was ist Bitterkeit überhaupt? Typische Aussagen, die ich mit ihr verbinde:

  1. „Das ist doch alles sinnlos.“
  2. „Es wird sowieso nicht klappen.“
  3. „Davon ist nichts zu erwarten.“

Bitterkeit hat mit einer pessimistischen Einschätzung der Zukunft zu tun – insbesondere, was eigene Vorhaben angeht. Der Schlüssel zu ihr liegt aber in der Vergangenheit.

Warum würde jemand freiwillig bitter werden? Bitterkeit ist nützlich in einer Situation, aus der man nicht entkommen kann und die einem permanenten Schmerz bereitet. Sie kann sich wie eine wärmende Decke über einen legen, trösten und verhindern, dass man (weiter) ausbrennt: „Du brauchst Dich nicht weiter anstrengen. Lass es gut sein.“ Sie kann ebenso als „Erklärungsmodell“ dienen („Dass Dir etwas Schlechtes passiert ist, ist kein Unglück – es konnte ja nichts anderes passieren, die Welt ist so.“). Das zeigt auch das langfristige Problem mit Bitterkeit auf.

Bitterkeit schützt einen vor weiteren Verletzungen und Enttäuschungen. Bitterkeit verhindert gleichzeitig, dass man neue, andere Erfahrungen macht.

Bitterkeit veträgt sich nicht mit Mut und Träumen. Die sind aber notwendig, um voranzuschreiten und aus der Situation herauszugehen.

Wenn Bitterkeit so lange einen Schutz gegen die grausame Welt geboten hat, dann ist es schwer, sie wieder abzulegen. Denn die Angst ist groß, dass die Verletzungen wiederkommen. Aber gewisse Risiken muss man eingehen. Sonst ist alles fade im Leben.

Das Überwinden der Bitterkeit kann nicht von außen befohlen werden (auch wenn es oft getan wird) – das muss man schon selbst bestimmen! Der richtige Zeitpunkt zum Loslassen ist gekommen, wenn man genug Energie gesammelt hat, um etwas Neues zu erleben.

Traurigkeit ist nicht die innerste Wahrheit. Bitterkeit auch nicht.

Ich habe erst vor wenigen Tagen ein Musikstück gefunden, das meine Stimmung sehr gut wiedergibt, wenn es um das Loslassen von Bitterkeit geht.

Der Sänger hatte vorher eine glänzende Karriere als Mitglied des Acapella-Ensembles Pentatonix (als Beispiel sei ihr Daft-Punk-Medley erwähnt). Er hat all das hinter sich gelassen und zeigt jetzt, dass er jenseits dieser schillernden Gruppe noch ganz andere Sachen drauf hat. Ein inspirierendes Beispiel!

Avi Kaplan: I’ll Get By

Vom Sinn des Weinens

„Doch bevor eine neue Sonne aufgehen kann, müssen noch die finstersten Stunden vorüberziehen.“
War Wind, Shama’Li-Kampagne

Die Suche nach dem verlorenen Groove ist das spannendste Abenteuer meines Lebens. Auf meiner Reise, die mich zu mir selbst führt, habe ich meine Stärken erkannt und unerwartete Unterstützung bekommen. Die brauche ich auch, um mich den inneren Dämonen zu stellen. Während ich früher planlos und verzweifelt war, wenn ich den Groove verloren hatte, weiß ich diesmal, dass er wie eine Kraftquelle ist, die mit Selbstachtung und einem Zugang zu meinen Gefühlen zu tun hat.

Nachdem ich einige falsche Lehren erkannt habe, stellt sich die Frage: Was ist denn ein gesundes Verhältnis zu den eigenen Emotionen?

Eines kann ich mit Sicherheit feststellen: Wenn die eigenen Gefühle nur dann ok sind, wenn es sich um Freude oder Überraschung handelt, dann ist man eine arme Sau. Das ist so ähnlich, als ob man „nur positive Neuigkeiten“ berichten oder nur mit warmen Farben malen darf. Alles, was nicht in dieses enge Schema passt, muss unterdrückt oder heimlich ausgelebt werden. Das kann auf Dauer natürlich nicht gutgehen.

„Zorn“ wird eventuell noch als „Unzufriedenheit“ gedeutet und dann als „Willen zur Veränderung“ und „Tatendrang“ verpackt. „Angst““ schickt sich schon weniger für einen Mann. Dabei ist sie im richtigen Maße ein wertvoller Ratgeber und ein Hinweis auf eine mögliche Gefahr. Klar klingt „Mut“ besser – der kann aber ebenso in Leichtsinnigkeit umschlagen. Da sind mir ein geschärfter Blick auf die Dinge und Verantwortungsgefühl lieber.

Aber das schlimmste, verbotene Gefühl für einen Mann ist Traurigkeit oder Ergriffenheit, die einen zum Weinen bringt. Es ist das skurille Ergebnis einer völlig verkorksten Entwicklung, dass Männer einerseits Gefühle haben und zeigen sollen, andererseits dann dafür abgelehnt oder als schwächlich angesehen werden. Die einzige richtige Reaktion ist, sich einen Dreck darum zu scheren und seine Gefühle zuzulassen. Ein Mann muss stark sein, um sich Schwäche erlauben zu können.

Entgegen der landläufigen Wahrnehmung ist es nicht am schlimmsten, wenn man viel weinen muss. Wirklich schlimm ist es, wenn man überhaupt nicht mehr weinen kann.

Als beste Analogie fällt mir das Märchen ein, in dem der König seine Töchter fragt, wie sehr sie ihn lieben, und eine antwortet „wie das Salz“. Das erzürnt den Vater, der daraufhin die Prinzessin verstößt. Mit einem Mal verwandelt sich aber alles Salz im Königreich in Gold. Alle Speisen schmecken fad, viele Rezepte funktionieren nicht mehr, die Stimmung ist im Keller. Das Salz, so dämmert es dem König, hat das Leben erst richtig lebenswert gemacht. Es war in kleinen Mengen so allgegenwärtig, dass es einem gar nicht mehr aufgefallen ist.

Ich erinnere mich an eine Verfilmung aus der Tschechoslowakei namens „Der Salzprinz“, in der gegen teures Geld Salz aus dem Ausland herbeigeschafft werden soll. Doch kaum haben die Truhen und Wagen die Grenze passiert, verwandelt sich das importierte Salz ebenfalls in Gold.

Es hilft alles nichts: Der ursprüngliche Fehler muss berichtigt werden, bevor das Leben wieder weitergehen kann. Wie mit dem Salz, so ist es mit dem Weinen – was sogar ein wenig naheliegt, schließlich sind Tränen salzig.

Ende 2012, mitten in den Jahren vor der Auszeit, hörte ich eine Predigt über das Lied „Die Nacht ist vorgedrungen“. Das Stück ist während der Nazizeit entstanden und offenbahrt einen beeindruckenden Optimismus auch während der tiefsten Nacht, dass der Tag bald kommen möge.

Ich habe daraufhin eine Aufnahme gesucht und gefunden (Quelle). Die Version ohne musikalische Begleitung, also der reine Gesang, hat mich tief berührt, weil sie so verletzlich herüberkommt. Als ich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder weinen konnte, da fiel eine unglaubliche innere Last von mir ab.

Dass auch die tiefste Nacht vorübergeht, dass ich wieder ganz gesund werden würde – das wagte ich mir damals nicht vorzustellen. Darum hat mich der Liedtext so ergriffen. Das deutet darauf hin, dass das Weinen nicht „einfach so“ passiert, sondern mir signalisiert, was mir wichtig ist.

Eine Variante, die ich immer wieder erlebe: Wenn eine Person, ein Tier oder selbst ein fiktiver Charakter angeblich „zu nichts nütze ist“ oder „von niemandem geliebt wird“, dann kommen mir schnell die Tränen. Ich erinnere mich an die eigene Erfahrung, selbst nach reinen Nützlichkeitserwägungen beurteilt und weggeworfen worden zu sein oder Liebe „nicht verdient zu haben“. Diese unheimlich grausame Behandlung möchte ich weder für mich noch für jemand anderen. Das ist eine Überzeugung, die mir sehr viel wert ist.

Ich schien immer gefühlvoller als andere Menschen in meiner Umgebung zu sein – vielleicht feinfühliger. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis ich das nicht mehr als „Schwäche“ oder „Defekt“ angesehen, sondern als normalen Teil meiner Persönlichkeit akzeptiert habe. Äußere Umstände – kulturelle Normen und Tabus, aber auch Reaktionen von anderen – haben ihren Teil dazu beigetragen, dass es so lange gedauert hat. Die Zeit ist gekommen, diese Facette meiner Person willkommen zu heißen und Frieden mit mir selbst zu schließen.

Falsche Vorbilder

Das Abenteuer, auf das ich mich begeben habe, ist die Suche nach dem verlorenen Groove. Meine Heldenreise führt mich dabei zu mir selbst, zu meinen Stärken und inneren Dämonen. Dabei haben mir unerwartete Verbündete geholfen. Anders als früher habe ich diesmal erkannt, dass Selbstachtung die Quelle meiner Energie ist und der Zugang zu meinen Gefühlen sich anfühlt, als hätte ich Superkräfte.

Heute möchte ich ein wenig über falsche Moral schreiben. Ich habe schon vorher Märchen und Filme als gute Beispiele zitiert. Leider gibt es auch das Gegenteil.

„Gefühle sind schlecht“

Jahrzehntelang haben mich Musik, Bücher und Filme berührt und inspiriert. Umso kurioser, dass mir die Popkultur so manches Mal überhaupt kein gutes Vorbild dafür gegeben hat, wie man mit Emotionen umgeht, sondern mir stattdessen Botschaften vermittelt wie diese:

Gefühle
– machen einen schwach
– stören oder stehen einem im Weg
– sind für andere eine Last, eine Zumutung

Beispiele aus der Popkultur:
– Yoda, der über die dunkle Seite der Macht philosophiert und Angst und Zorn als Schritte zu ihr nennt
– die leidenschaftlichen, verschlagenen Romulaner als krasser Gegensatz zu den rationalen, aufgeklärten Vulkaniern

Mit anderen Worten: „Gute Leute sind vernünftig. Böse Leute haben Emotionen.“ Einen schlechteren Rat kann man kaum jemandem auf den Weg geben.

Da die Gefühle an sich ein Problem sind, geht es immer ums Gegenhalten und Unterdrücken. Das ist aber keine gesunde Einstellung gegenüber Emotionen – ebenso wenig, dass nur bestimmte Gefühle in Ordnung und akzeptabel sind.

Stimmt, die Überwindung des reinen Gefühls war historisch ein Grundpfeiler der modernen Zivilisation. Was dabei unter anderem herausgekommen ist: Der Rechtsstaat oder was unser Leben lebenswert macht.

Dennoch bleibt, dass wir im Grunde hochgradig irrationale Wesen sind. Das ist ein Widerspruch, mit dem es sich auszusöhnen lohnt.

Bestes positives Beispiel: Miraculix in „Asterix und die Normannen“: Mut zu haben bedeutet nicht, keine Angst zu kennen, im Gegenteil: Nur wer sich seiner Angst stellt, kann wirklich mutig sein.

„das eigene Glück ist egoistisch“

Im Film „Star Trek: Generations“ spielt das Nexus, eine Art Energiefeld, in dem man sich vollkommen glücklich fühlt, eine zentrale Rolle. Es klingt zunächst ein wenig wie der Groove, und es gibt auch jemanden, der es sucht – das ist aber der Schurke, der verzweifelt und verbittert sein Ziel verfolgt. Die Lektion lautet: Das zu suchen ist böse; man muss stattdessen versuchen, den Verzicht auf die große Freude zu lernen…

Ich finde das unglaublich kleingeistig. Ganz anders mutet dagegen der ursprüngliche, grenzenüberwindende Geist von Star Trek an, wie er etwa im nächsten Film First Contact zu erleben ist: Positive Veränderung ist möglich und man muss kein Heiliger sein, um sie zu erreichen; man kann über sich hinauswachsen.

„seinen eigenen Weg gehen muss immer weh tun“

Ich hatte schon beschrieben, wie mühelos es sich anfühlt, wenn ich in Übereinstimmung mit meinen Gefühlen handele. Es geht also darum, mit der Energie zu strömen, nicht gegen sie.

„Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom“ ist eine Schulung in die falsche Richtung. Richtig ist: Schlaue Fische tun es, wenn es ihnen nützt. Und wie eine Bekannte noch hinzufügte: Fortschrittliche Fische krabbeln aus dem Wasser…

Die eigenen Stärken erkennen

Ich bin auf der Suche nach dem verlorenen Groove. Im Gegensatz zu früher habe ich eine Idee, wo ich suchen muss: In mir selbst. Der Zugang zu meinen Gefühlen wird ein entscheidendes Element auf dem Weg sein.

Der Groove als eine Quelle der Kraft hat viel mit Selbstachtung zu tun. Wie ein Held gehe ich auf die Reise, stelle mich Dämonen und finde unerwartete Verbündete.

Ein weiteres Element der Heldenreise besteht darin, sich selbst zu erkennen. Vor dreieinhalb Jahren habe ich einen Persönlichkeitstest namens CliftonStrength (benannt nach Don Clifton) gemacht, der vom Gallup-Institut stammt.

Dabei werden aus 34 Talentthemen (auf Deutsch, auf Englisch) die 5 ermittelt, die am meisten mit den eigenen Stärken zu tun haben. Für mich ergaben sich:

  1. Input (Ideensammler)
  2. Learner (Wissbegier)
  3. Intellection (Intellekt)
  4. Responsibility (Verantwortungsgefühl)
  5. Individualization (Einzelwahrnehmung)

Die ersten drei wurden mir immer wieder von anderen Leuten bestätigt. Mein Interesse an vielen verschiedenen Themen, meine Freude am Lernen an sich, meine Bereitschaft, über viele Dinge nachzudenken sind typische Qualitäten dafür. Auch der letzte Punkt, der sich etwa dadurch äußert, dass ich gerade die Unterschiede zwischen den Menschen genieße, ist nicht neu.

Überrascht hat mich jedoch das Verantwortungsgefühl als zentrales Thema. Mir war vorher nicht bewusst gewesen, dass ich so stark darauf anspreche!

Einen Hinweis darauf hatte mir meine Auszeit geliefert, während der ich festgestellt habe, dass ich eben nicht völlig verlottere, wenn ich keinen externen Faktoren habe, die mich antreiben. Stattdessen habe ich von ganz alleine meine Reisen organisiert und festgestellt, dass ich auch dann ein anständiger Mensch bin, wenn ich nicht in ein enges Korsett von Regeln gezwängt bin. Auch während meines Erasmus-Jahres in Catania 1999/2000 war ich nach einem Monat Party froh, als das Semester losging und ich endlich wieder etwas tun konnte.

Dass ich ein hohes Verantwortungsgefühl besitze, ist eine wichtige Erkenntnis. Zum einen nehme ich Dinge ernst – oft zu ernst; zum anderen kann ich nicht so einfach loslassen wie andere.

Darum ist ein Plädieren an meine Verantwortung Gift für mich. Zu glauben, ich bräuchte äußeren Druck, ist ein Zeichen von Misstrauen mir gegenüber (wenn es nicht einfach Unkenntnis ist).

In der Vergangenheit habe ich es so manches Mal zugelassen, dass andere mich lenkten – ein einfacher Hinweis („Das ist ganz wichtig!“) gepaart mit einem Anzweifeln meines Wertes („Du musst Dich beweisen!“) reichte aus. Ich sprang darauf auch deswegen gut darauf an, weil ich dachte, ich könnte mir Respekt und Wertschätzung erarbeiten (ein absoluter Irrtum).

Tatsächlich muss ich die Anzahl der Sachen, mit denen ich mich beschäftige, stark begrenzen und diese am besten selbst auswählen – was ich anpacke, will ich auch zuende führen. Mich in Arbeit zu flüchten, wenn ich mich schlecht fühle, führt meist zu großen Leistungen, hilft mir selbst aber nicht weiter (außer wenn ich das tatsächlich selbst will und das einen zukünftigen Wert für mich hat).

Ich möchte zukünftig auf die die inverse Spiderman-Regel pochen: Ihr wollt, dass ich Verantwortung übernehme? Dann gebt mir die Macht dazu!

Macht und Verantwortung müssen Hand in Hand gehen, denn:

  • Macht ohne Verantwortung erzeugt gewissenlose Menschen.
  • Verantwortung ohne Macht erzeugt verzweifelte Menschen.

Mein starkes Verantwortungsgefühl muss also mit einem hohen Maß an Freiheit aufgewogen werden. Nur dann lauge ich mich nicht selbst immer wieder aus.

Und das stimmt tatsächlich mit meiner Lebenserfahrung überein: Brilliert habe ich in den letzten Jahren in Situationen mit wenig Ordnung und viel Uneindeutigkeit, in denen viele der üblichen Regeln nicht galten, in denen die althergebrachten Rezepte nicht funktionierten. Wenn soviel unklar und unsicher ist, können andere nicht auf einen ganzen Wust an Regeln bestehen, denen ich auch folgen würde, aber die mich nur einschränken beim Lernen, Handeln und Finden von Lösungen. Dann hilft gerade weiter, was ich liebe, nämlich zu experimentieren und mich außerhalb der gewohnten Bahnen zu bewegen. Für Situationen mit viel Verantwortung bin ich anfällig und sie können mich immer wieder in die Knie zwingen – aber es sind die Gelegenheiten mit einem hohen Freiheitsgrad, in denen ich aufblühe und bei denen ich zeigen kann, was wirklich in mir steckt.