Kein Seelenstriptease

„Do one thing everyday that scares you / Sing!“
– Baz Luhrmann – Everybody’s Fee To Wear Sunscreen

Ich bin auf der Suche nach dem verlorenen Groove. Zwei Blogeinträge fassen jeweils alle Blogeinträge aus Q2/2020 und alle Blogeinträge aus Q3/2020 zusammen. Zuletzt habe ich gebloggt über Lieder, die mich durch die Nacht bringen, das neue Lebensjahr sowie vom Sinn des Staunens.

Heute möchte ich nur über eine grundsätzliche Sache schreiben, die ich schon länger im Kopf hatte. Einerseits teile ich ich hier persönliche Dinge, insbesondere zu meinen Gefühlen. Andererseits habe ich andere Leute aus meinem Leben nicht namentlich erwähnt, auch wenn sie mir sehr viel bedeuten und mich zu manchem Blogeintrag inspiriert haben. Einige Themen, die sehr wohl eine Rolle spielen, werden bewusst entweder nur angedeutet oder völlig ausgespart. Dadurch wird einiges vielleicht unvollständig und unklar erscheinen, weniger persönlich oder distanziert wirken.

Das ist völlig in Ordnung. Das hier wird kein „Seelenstriptease“ im Internet. Dieses Blog ist kein Buchmanuskript oder der Versuch einer Selbstvermarktung.

Ich werde hier keine peinlichen oder intimen Dinge teilen, sondern nur Teile meine Persönlichkeit. Das darf mein ärgster Feind wissen. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass es meinen Freunden mehr nützen wird. Ich bin auch davon überzeugt, dass die Einträge für sich alleine einen Wert besitzen und lesenswert sind, ohne dass man die ganze Hintergrundgeschichte mit all ihren Details kennt.

Vom Sinn des Staunens

Ich bin auf der Suche nach dem verlorenen Groove. Zwei Blogeinträge fassen jeweils alle Blogeinträge aus Q2/2020 und alle Blogeinträge aus Q3/2020 zusammen. Zuletzt habe ich gebloggt über Lieder, die mich durch die Nacht bringen sowie das neue Lebensjahr.

Was ich im letzten Eintrag als Ausblick beschrieben habe, hat mich auf das Thema des heutigen Blogeintrags gebracht. Schon vorher hatte ich über den Sinn von Gefühlen geschrieben über das Weinen wie den Zorn (sogar zweimal!). Heute möchte ich mich dem Staunen widmen, einer weiteren Grundemotion.

Der Kaiser Friedrich II. bekam den Beinamen stupor mundi – „das Staunen der Welt“. Er verfasste ein Buch über die Falkenjagd und scheute sich nicht davor, zur Zeit der Kreuzzüge auch von muslimischen Quellen und Gelehrten zu lernen. Die Folge der ZDF-Serie „Die Deutschen“ mag ein wenig plakativ daherkommen mit ihren gespielten Szenen – den interessanten Teil von Friedrichs Persönlichkeit schafft sie dennoch herüberzubringen, so dass sie mir auch Jahre nach ihrer Erstausstrahlung noch im Gedächtnis geblieben ist.

Die Deutschen: Friedrich II. und der Kreuzzug

Zuletzt habe ich gestaunt über die Serie „Journey Quest“ (von denselben Leuten, die schon „Gamers“ und „Gamers: Dorkness Rising“ gemacht haben). Ich finde die Schauspieler sympathisch und sehr natürlich, der Plot und die Charaktere interessieren mich – und nicht zuletzt bin ich immer beeindruckt davon, was mit einem kleinen Budget auf die Beine gestellt werden konnte. Die Titelmusik hat es mir ebenfalls angetan (so wie die fröhliche orkische Musik am Ende der 2. Staffel):

Steve Wolbrecht: Journey Quest Perf Runs/Opening Title

Dieses Staunen ist eng verbunden mit Freude – über die Welt an sich, über das, was möglich ist, über das überrascht werden und überrascht werden können. Aber auch darüber, dass bestehende Grenzen überwunden wurden, dass etwas Großartiges möglich war, dass Ideen frei fließen konnten. Dieses Element des Grenzenüberwindens ist etwas, das ich an Fantasy so attraktiv finde. Fantasy ist eng verbunden mit dem Erzählen von Geschichten – einer der ältesten menschlichen Traditionen. Wenn das Unfug wäre, wäre es längst ausgestorben. Im Gegenteil, hier wird eines unserer menschlichen Bedürfnisse erfüllt. Bei Fantasy geht es nicht um die Flucht aus dem Alltag oder eigenen Leben (Eskapismus), sondern das zusätzliche Leben, das lebendig sein unter ganz anderen Umständen, das sich erleben in einem anderen Kontext.

Darum ist Staunen so wichtig: Es ist das Gegenteil von Routine und Pflicht. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, aber ab und zu muss er träumen – ich zumindest. Staunen, mit offenem Mund und großen Augen, ist ein wenig wie nach wie vor Kind sein – die Größe der Welt entdecken. Für diese Lebensfreude hatte ich schon einmal einen anderen Ausdruck – Zukunftslust. Die Offenheit, die mit Staunen verbunden ist und wichtige Voraussetzung für Kreativität ist, bekomme ich sehr leicht durch Fantasy. Zwei Beispiele, die bei mir immer wieder funktionieren:

Zum einen die Nordlandtrilogie. Im ersten Teil gibt es ein Gesicht (wird z.B. für einen Händler verwendet), das ich immer als staunend gedeutet habe und das bei mir selbst immer wieder Staunen hervorruft. Im zweiten Teil spricht man mit Einwohnern verschiedener Orte und erfährt von einem Bündnis zwischen Elfen und Zwergen vor langer Zeit, eine Händlerin kommt aufgeregt auf einen zugelaufen und verkauft einem ein Amulett… diese vielen möglichen Erlebnisse selbst in einem kleinen Ort bringen mich zum Staunen. Das Erkunden einer Welt mit ihren vielen liebevollen Details ist ein Grund, warum alle drei Teile zu meinen liebsten Computerspielen zählen.

Zum anderen James Horners Soundtrack zum Film „Willow“. Gerade der Chor, den man zum ersten Mal hört, wenn man von der Prophezeihung liest, hat für mich immer etwas Mystisches. Das Musikstück „Elora Danan“ ist auch deswegen interessant, weil es durch so viele verschiedenen Stimmungen geht. (Zur Unterhaltung: Man beachte im folgenden Video die Frau im Chor mit den Elfenohren!)

The Danish National Symphony Orchestra: Willow – Elora Danan’s Birth (Live)

Ein Element, das im Film Willow eine große Rolle spielt und das an das anknüpft, das ich letzte Woche noch geschrieben habe: Nicht alles läßt sich vorhersehen. Das Gute, das uns geschehen kann, wird nicht alleine durch unsere Taten bestimmt oder das, was wir jetzt gerade sind.

Ein neues Lebensjahr

Ich bin auf der Suche nach dem verlorenen Groove. Zwei Blogeinträge fassen jeweils alle Blogeinträge aus Q2/2020 und alle Blogeinträge aus Q3/2020 zusammen. Zuletzt habe ich gebloggt über Lieder, die mich durch die Nacht bringen.

Vorgestern bin ich ein Jahr älter geworden. Einen so einsamen Geburtstag hatte ich zuletzt vor sieben Jahren. Damals bin ich immerhin ordentlich abtanzen gegangen – selbst das geht diesmal nicht.

Kuchen gab es aus dem Supermarkt – und eine Geburtstagstorte in Form einer Tafel Schokolade. Immerhin kamen viele virtuelle Glückwünsche an und jemand empfahl mir sogar ein Lied, das ich noch nicht kannte:

Madonna feat. MIA: B-Day Song

Wenn ich mir durchlese, was ich zu meinem runden Geburtstag vor vier Jahren geschrieben habe, dann klingt das wie ein Bericht aus einer fernen Welt – so glücklich und zufrieden. Allerdings habe ich bereits beim Rückblick auf die Zeit vor fünf bzw. zehn Jahren festgestellt: Viele Dinge habe ich schon früher richtig gesehen. Das ist der Nutzen des Bloggens: Ich kann mir später durchlesen, was ich früher einmal gedacht und gefühlt habe.

Dabei ist mir zum wiederholten Male ein Irrtum in meiner Selbstwahrnehmung aufgefallen: Ich halte mich rückblickend oft für naiv und unwissend. Dabei stelle ich fest, wenn ich mein Tagebuch von früher lese, dass ich mehr wusste, als ich in Erinnerung hatte. Ich habe sogar über diese Idee selbst schon vor Jahren gebloggt!

Erst gestern ist mir klar geworden, was diesen Irrtum befördert haben kann und warum er so schädlich ist: Bildung hat in meiner Familie und meinem sozialen Umfeld immer eine wichtige Rolle gespielt. Bildung war der Schlüssel und Garant zum Aufstieg vor einer Generation. Lebenslanges Lernen ist ein wichtiger Wert für mich.

Im Übermaß kann daraus jedoch ein Lernirrtum entstehen: Wenn man genug lerne, könne man sich auf alles vorbereiten. Man müsse es nur besser wissen, um schlechte Dinge zu vermeiden. Daraus folgt, dass wenn einem etwas Schlechtes passiert, man offensichtlich dumm und naiv gewesen ist und sich beim Lernen nicht genug angestrengt hat.

Das ist die Bildungsbürgertum-Variante eines gut klingenden, aber absolut toxischen Glaubensgrundsatzes: „Jeder ist seines Glückes Schmied.“ Wem etwas Schlechtes widerfährt, der ist auch irgendwie selbst daran Schuld daran, „er hätte es ja besser machen können“.

Das ist zum einen die Abwehr der Angst, dass einem selbst etwas passieren könnte, selbst wenn man alles richtig macht – eine typisch konservative Lebenseinstellung. Zum anderen ist das der gerechte-Welt-Glaube (Just-world hypothesis) – der Fehler, anzunehmen, es gehe grundsätzlich auf der Welt schon gerecht zu.

Bildung ist wichtig; sie kann jedoch nicht auf alles vorbereiten: Manche Dinge kann man nicht vorher wissen. Sie sind nicht absehbar.

Das ist eine wichtige Sache, die ich im Vergleich zu einem halben Jahr zuvor anders sehe: Ich hätte die jetzige Krise nicht durch „mehr Wissen“ oder „besseres Vorbereiten“ verhindern können. Was mir passiert ist, war extrem ungewöhnlich und einfach Pech.

Freunde und Familie, professionelle Hilfe und Beratung waren sich einig in ihrem Urteil, das ich inzwischen annehmen und teilen kann: Ich hatte vernünftige Vorstellungen. Ich konnte mit bestem Wissen und Gewissen nicht vorhersehen oder verhindern, was mir passiert ist. Ich habe an meinem Unglück keine Schuld.

Und noch eine Sache, die ich anders sehe als zu Beginn meines Abenteuers: Ich war mir sehr wohl des Stresses, der Anspannung, des Risikos für meine Gesundheit bewusst. Ich habe nicht die Warnsignale ignoriert – im Gegenteil, ich habe mir zeitig Hilfe geholt und alle nötigen Schritte selbst in die Hand genommen.

Ich habe lange Zeit den Glauben aufrechterhalten, ich hätte schon irgendetwas falsch gemacht – andere Leute beschuldigen ist nicht fein. Aber ich bin lange davor zurückgeschreckt, anzunehmen, dass schlechte Dinge einfach so passieren, ohne dass jemand ganz konkret die Schuld daran trägt.

Ich habe in letzter Zeit oft gehört, um geliebt zu werden, muss man zuerst „sich selbst lieben“. Das hat immer eine starke Abwehrreaktion bei mir hervorgerufen – Zorn und Abscheu. Was der „Selbstliebe“ und dem „sich selbst verzeihen“ bislang im Wege stand, war das Fehlen der obenstehenden Erkenntnisse.

Das erklärt auch, warum mir die Tränen kamen, wenn es um das grundsätzliche Ablehnen von anderen ging, wenn sie nicht nützlich sind. Bei anderen konnte ich diese Empathie aufbringen, bei mir hatte ich lange eine innere Blockade. Aber wenn man danach die Menschen bemessen würde, ob sie immer so gut wie möglich vorbereitet wären und sich ständig fehlerlos verhalten würden, müsste man die ganze Menschheit verurteilen. Das kann’s nicht sein.

Das ist der Unterschied zwischen zwei Konzepten: Sich selbst verbessern? Sehr gerne – sich an sich selbst messen und besser werden klingt gut. Sich selbst optimieren? Nein danke – das klingt völlig unmenschlich und gnadenlos sich selbst gegenüber.

Für mein Leben ab jetzt habe ich eine neue Sicht: Ich muss nichts mehr beweisen, weder beruflich noch privat. Ich habe im Leben nicht erreicht, was ich wollte, aber alles, was ich konnte. Was jetzt noch kommt, ist alles Zugabe.

Drei Elemente haben sich für mich herauskristallisiert, die für mich funktionieren:

  1. Musik und Kreativität
  2. Herz und Hirn, Feinsinnigkeit
  3. mich in Umgebungen zurechtfinden mit Unsicherheit / Unschärfe / unklaren Regeln

Letzteres ist nicht etwa dadurch verursacht, dass ich Regeln nicht befolgen könnte. Dafür sorgen schließlich mein Verantwortungsgefühl und mein Pflichtbewusstsein. Es ist also nicht aus der Not geboren, sondern aus Freiheit entstanden. Das ist ein wichtiger Aspekt für die Zukunft, denn das kann längst nicht jeder.

Ich bring‘ Dich durch die Nacht

Ich bin auf der Suche nach dem verlorenen Groove. Zwei Blogeinträge fassen jeweils alle Blogeinträge aus Q2/2020 und alle Blogeinträge aus Q3/2020 zusammen.

Zu dem Lied „The Dawn Will Come“ und meinen Gedanken dazu gab es noch eine schöne Rückmeldung:

Reinhard Mey, dessen Lied „So viele Sommer“ ich dieses Jahr zu spielen und singen gelernt habe, hat ebenfalls ein Stück zum selben Thema anzubieten:

Reinhard Mey: Ich bring‘ Dich durch die Nacht

Die letzte Woche hat mir noch einmal einiges an Energie abverlangt. Umso wichtiger ist es, Dinge zu finden, aus denen man wieder neue Kraft schöpfen kann!

Deswegen folgen noch vier weitere Versionen von „The Dawn Will Come“, die es mir angetan haben.

Die erste finde ich sehr zart arrangiert, die zweite hat mich besonders ergriffen, die dritte hat ein ein besonders schönes begleitendes Video. Da der Text sehr wichtig ist, habe ich die Instrumentalversionen weitestgehend außen vor gelassen – aber Lindsey Stirling ist mit ihrer Darbietung und ihrem Video wieder einmal eine Klasse für sich. Daher ist dies die vierte Version meiner heutigen Auswahl.

Malukah

Folkore Guild

Igromanija

Lindsey Stirling