Ich bin auf der Suche nach dem verlorenen Groove. Acht Blogeinträge fassen jeweils alle Blogeinträge aus einem Quartal zusammen:
Zuletzt habe ich darüber gebloggt, wie der Groove nach zwei Jahren zurückkam, Selbstliebe statt Angst, wie ich Ostern nicht alleine war, einen zweiten Lernerfolg in diesem Jahr, wie ich an einem Tag mit dem Fahrrad ans Meer und zum Flughafen fuhr, ein Wochenende in Frankfurt, meinen Aufenthalt in Paris, wie ich mich von meiner alten Lederjacke verabschiedete, wie ich den Groove an einem Gebet und einem Lied bemerkte sowie die Kunst mich selbst zu lieben.
Ich habe – ermutigt durch die Erfahrungen in diesem Quartal – einen Schritt getan, den ich noch vor kurzem rigoros ausgeschlossen hätte. Ich war bei einem Speeddating-Abend.
Mein Bild von Speeddating war bisher im wesentlichen „schrecklich“.
Speeddating bei Dr. House
Wie konnte es dazu kommen, dass ich meine Meinung geändert habe? Nichts in meinem bisherigen Leben hätte darauf hingedeutet.
Flirten halte ich für ein leidiges Thema. Ich habe das nie besonders gerne gemacht, aber leider muss es sein, sonst bleibe ich alleine. Ich mag keine Aufreißer-Discos, keine Flirtportale, keine Spruchduelle. Ich fand das alles immer extrem erzwungen und auch erniedrigend, mich quasi selbst so anbieten zu müssen und mich zum Affen zu machen.
Es gibt Dinge, die mich so unglaublich traurig und wütend machen wie Fotos von Hochzeiten und Überschriften wie „Es kommt eine Zeit für jeden„. Der Artikel hat jedoch einen sehr guten Punkt: Singles, die nicht alleine bleiben wollen, sollten bei allen ihren täglichen Aktivitäten und Interaktionen messen, ob diese – egal wie unwahrscheinlich – zu einer Beziehung führen können. „Zu Hause sitzen und keine neuen Leute kennenlernen“ hat offensichtlich eine Wahrscheinlichkeit von 0.
Ich weiß, dass mein jetziger Lebensstil mit all seinen Facetten mich nicht glücklich gemacht hat. Wenn mein Leben wie bisher sowieso nicht funktioniert hat, habe ich fast nichts mehr zu verlieren. Daher habe ich mir vorgenommen, alle möglichen kleineren Experimente durchzuführen und jeweils nach kurzer Zeit zu messen, wie es wahr.
Seit April habe ich in so vielen sozialen Situationen erlebt, wie ich doch offensichtlich ein ganz anständiger Kerl bin, der auch Leute unterhalten kann. Ich hatte den Eindruck gewonnen, dass ich in direkter Interaktion wesentlich sympathischer rüberkomme als es ein noch so guter Steckbrief ausdrücken könnte.
Als ich von einem Speeddating-Angebot für meine Altersklasse in Amsterdam las, habe ich noch eine Nacht drüber geschlafen und mich dann tatsächlich angemeldet. Natürlich hatte ich viele Bedenken: Bin ich als Ausländer nicht deutlich weniger attraktiv, weil ich die Landessprache nicht so gut wie die meisten Einheimischen beherrsche? Bin ich nicht relativ schlecht im Vergleich zur Auswahl der Männer?
Ich las dann jedoch noch drei goldene Tipps, insbesondere dass so ein Abend vor allem ein soziales Ereignis ist, bei dem man mit vielen verschiedenen Menschen ins Gespräch kommt. Das hat mir ja sehr gefehlt! Und vor allem konnte ich mit dieser Idee meine Ängste und Zweifel, aber vor allem den Druck ablegen.
Ich hatte mir noch einen Haarschnitt verpassen lassen, den ich sehr mag, und mich wieder glatt rasiert. So gefalle ich mir selbst! Ich ging daher, was mich anging, recht entspannt zu dem Abend und mit einer gewissen Ergebnisindifferenz.
Und was soll ich sagen? Das war genau richtig! Ich habe mit den meisten der Damen ein paar schöne Kurzgespräche geführt und konnte mich in vielen Fällen als Unterhalter und Zuhörer einbringen. Und vor allem war ich ich selbst!
Auch vor der Konkurrenz hatte ich nicht den Eindruck, mich verstecken zu müssen. Ich bin zwar kein Unterwäschemodell (das sind die wenigsten), aber auch weit entfernt davon, mit Quasimodo verwechselt zu werden.
Es waren sogar erstaunlicherweise viele Ausländerinnen dabei. Meine Befürchtungen über die Sprachbarriere waren also unbegründet, auch wenn ich noch ein wenig einfacher auf Englisch als auf Niederländisch einen Plausch führen kann und ich Flirten für das allerschwierigste überhaupt innerhalb von Sprachkenntnissen halte. (Ich habe Kommunalwahlen und Arztbesuche auf Niederländisch hinter mich gebracht…)
Interessanterweise war mir fast egal, ob sich nach dem Abend etwas ergeben würde (hat sich nicht, sonst würde ich das hier nicht so offen schreiben). Ich empfand den Abend an sich als Erfolg und habe schon richtig Lust auf das nächste Mal.
Mit anderen Worten: Es war alles völlig anders, als ich es mir immer vorgestellt hatte. Ich bin völlig anders, als ich mich selbst immer gesehen habe.
Die Speeddating-Erfahrung in einem Satz zusammengefasst lautet: Ich bin ja gar kein Versager!
Ich habe eine Sache fundamental richtig gemacht: Ich bin dahin gegangen, wo die Angst war, und bin über meinen eigenen Schatten gesprungen.
Ich werte das als wichtigen Hinweis darauf, dass ich bisherige Glaubenssätze in Frage stellen sollte, indem ich experimentiere. Keine Hölle ist so vermeidbar wie die, die man sich in seinem eigenen Kopf errichtet.
Eine Sache habe ich außerdem gelernt: Manche fragten danach, wo ich wohne (innerhalb Amsterdams gilt Hoofddorp als langweilig) und wie häufig ich nach Deutschland reise, um Freunde und Familie zu sehen. Es ist durchaus möglich, dass ich gut genug bin, aber nicht in der richtigen Umgebung, um erfolgreich zu sein. Auch das ist ein wichtiger Hinweis für die Zukunft. Weil ich offen und interkulturell einigermaßen kompetent bin, kann ich vielleicht in mehr Kontexten Erfolg haben kann als andere. Das heißt aber nicht, dass ich überall Erfolg haben werde oder in einer gegebenen Umgebung Erfolg haben kann. Eine spannende These, die es für die nahe Zukunft noch weiter zu untersuchen gilt!
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