Ein Hauch von Sizilien in Münster

Es ist zwar Herbst, aber das ist kein Grund, traurig zu sein. Im Gegenteil, ich habe den Sommer doch gut genutzt.

Nicht alles, was ich mal irgendwann angedacht hatte, habe ich geschafft, aber das ist völlig ok. Es gibt immer mehr Ideen, als man am Ende umsetzen kann, und außerdem gab es ja auch einige unerwartete Entwicklungen, die für mich sehr angenehm waren.

Am 14. September war es genau 15 Jahre her, dass ich mein Auslandsstudium in Catania angetreten habe. Dieses Jahr auf Sizilien war sicherlich nicht leicht, es hat mich aber persönlich sehr viel weitergebracht. Das Jahr Auszeit habe ich auch mit der Erinnerung an dieses Jahr angetreten und der Hoffnung, dass es sogar besser wird, denn diesmal habe ich Zeit und Geld.

Ohne dass ich es darauf angelegt habe, kamen sogar einige Male Parallelen auf: Bei der ersten Reise erinnerte ich mich an die ersten Tage auf Sizilien – ein sehr befreiendes Gefühl. Mitten in der Woche bis spät in die Nacht quatschen habe ich auch damals einige Male gemacht – ja, spontan zu sein habe ich da unten gelernt! Eine Granita mit Kaffee (und Mandel!) habe ich morgens gerne getrunken. Mit bislang unbekannten Leuten irgendwo abzuhängen und ein ganz anderer zu sein als in der vertrauten Umgebung, das war auch eine wichtige Erfahrung.

Ich hätte nicht gedacht, einen Ort zu finden, der mich so sehr an Sizilien (und Süditalien allgemein) erinnert, aber Gracia in Barcelona kommt dem schon sehr nahe. Ein Plan war übrigens, am 11. September wieder in Barcelona zu sein, weil dann ein 300-jähriges Jubiläum gefeiert wurde.

Als ich im Zuge der Operation Augias allerlei Papierkram durchsah, bin ich auf meine alten Sachen aus der Zeit auf Sizilien gestoßen. Von vielem konnte ich mich trennen; andererseits habe ich auch einige interessante Adressen wiedergefunden von Läden und Cafés, in denen ich abgehangen habe, sowie einen Stadtplan. Das ist alles nützliches Zeug für den nächsten Besuch – und den ersten seit über 14 Jahren. Für den 14. September hatte ich mir ohnehin überlegt, wieder nach Catania zu fliegen.

Beide Pläne habe ich aber sausen lassen. Ich kränkelte einige Tage. Zum Glück nichts Ernstes, nur wenig wenig Erkältung und Husten, aber das raubt einem ja doch Kraft und so richtig schön ist eine Reise dann auch nicht. Daher habe ich weiter ausgemistet. Einen weiteren Meilenstein gibt es noch nicht, aber ich bin viel Papiermüll losgeworden, eine weitere VHS-Videokassette, die bereits erwähnten Ordner und allerlei Kleinkram. Außerdem habe ich angefangen, meine alten Audiokassetten durchzuhören.

Als ich wieder fit war, bin ich doch lieber noch einmal nach Budapest geflogen. Von dort aus schreibe ich auch diesen Eintrag.

Aber zum Thema „Sizilien“ und „Sommer“ habe ich noch eine Anekdote aus dem Juni und Juli: Ich hatte ja mal scherzhaft, mal ernsthaft erwähnt, dass ich einige Tage kein Internet zu Hause hatte, was mich bei meinen Reisen durchaus vor eine Herausforderung gestellt hat.

Ich kam Ende Juni nach Hause und stellte fest, dass es immer noch nicht ging. Da musste tatsächlich ein Techniker ran. (Am Ende stellte sich heraus, dass das Modem kaputt war und ich einen neuen Router kaufen musste. Die Sache ist insgesamt glimpflich verlaufen, denn jeder Schritt wurde zügig ausgeführt und ich wusste jeweils, was zu tun war.)

Wo aber in der Zwischenzeit die Fußball-WM verfolgen? Immerhin stand ja am Abend meiner Rückkehr das Achtelfinale gegen Algerien auf dem Plan! Das habe ich dann im Flic Flac geguckt, inklusive legendärem „Ist mir Wurst!“-Interview.

Algerien

Die eigene Heimat kennenlernen war für mich ein wichtiger Punkt und den konnte ich bei dieser internetlosen Gelegenheit in die Tat umsetzen. Denn zumindest um meine elektronische Post zu lesen und zu bloggen, brauchte ich zwischendurch einen Internetzugang. Das Teilchen & Beschleuniger half mir ein weiteres Mal, aber immer nur dort abzuhängen wäre ja langweilig gewesen. Also machte ich mich auf die Suche nach einem neuen Ort.

Das Café Mima direkt am Bahnhof etwa war mir schon öfters aufgefallen, ich hatte allerdings nie die Gelegenheit genutzt, um dort mal hereinzuschauen. Jetzt aß ich dort unter anderem einen sehr leckeren Salat, der mich sehr an die Zeit auf Sizilien erinnerte. Zwischendurch hörte ich den Besitzer mit einem Angestellten Italienisch reden und fragte neugierig nach. Es stellte sich heraus, dass er Sizilianer war und aus Agrigento stammte! Na, das war ein Hallo!

Das Spiel USA gegen Belgien habe ich mir ebenfalls gegönnt und zwar im Bohème Boulette. Sehr entspannte Atmosphäre, friedliche und freundliche Fans beider Mannschaften waren anwesend. Großartiger Abend!

Später habe ich dann noch Argentinien gegen Belgien im Royals & Rice geguckt. Das Café hatte ich ja erst einen Monat zuvor entdeckt.

In der Zeit habe ich auch die zweite Runde mit den Kontaktlinsen gedreht. Alles gut soweit!

Ein Feuerwerk aus Endorphinen

Was für ein Abend, was für eine Nacht! Deutschland ist Fußball-Weltmeister 2014!

Ich hatte meine Reisepläne ja nicht darauf abgestimmt, ob ich bei den Spielen zu Hause sein würde, und es stand schon Monate vorher fest, dass ich beim Spiel um Platz 3 und beim Finale in der Slowakei sein würde. (Was ich da mache, ist eine eigene Geschichte wert… es geht mal wieder um Esperanto, Ukulelen und als DJ arbeiten).

Obwohl bei einer internationalen Veranstaltung auch viele dabei sind, die nichts von Fußball halten oder von Wettbewerben zwischen Nationen, fanden sich doch erstaunlich viele, die sich für das Spiel interessierten – darunter auch Nichtdeutsche. Wir guckten in dem Club, in dem die Woche über Kneipe und Diskothek stattfinden.

Als es in die Verlängerung ging, bin ich allerdings rausgegangen, weil ich die Spannung nicht mehr ertragen habe. Kurz nach Spielende ging ich jedoch wieder herein. Während noch die Siegerehrung übertragen wurde, legte der DJ schon auf, und jetzt war mal wieder so richtig abtanzen angesagt!

Ein Italiener machte ein Foto von mir und kommentierte es mit „Gunnar – viel glücklicher als sonst“. Es ist ein etwas grobkörniger Schnappschuss und meine Gesichtszüge sind ob des Jubelns verzogen, aber es gefällt mir sehr (durch die verlorenen 10 Kilos mache ich wieder eine gute Figur in einem engen T-Shirt). Es erinnert mich an alte Aufnahmen, als ich über zehn bis fast zwanzig Jahre jünger war. Wann hatte ich zuletzt diese Leichtigkeit und Lebensfreude? Ich kann es gar nicht sagen. Ich glaube, ich war noch nie gleichzeitig erwachsen, gesund und frei von irgendwelchen Pflichten. Ich spüre auch den riesigen Unterschied etwa noch zu Ostern.

Ich erinnere mich noch an die letzte gewonnene WM 1990 und den letzten Titel überhaupt – die EM 1996. Ich kann mich nicht daran erinnern, sie so unbeschwert und ausgelassen gefeiert haben zu können. So einen besonderen Tag muss man genießen – deswegen habe ich den Leuten hinter der Theke 50 Euro gegeben und sie gebeten, dafür Freigetränke auszugeben. (In Nitra sind die Preise niedriger – da reicht das noch länger. Ein kleiner Cocktail kostet etwa 2,90 EUR.)

Schön zu sehen, dass wir Deutschen zünftig abfeiern können und auch die Tanzfläche als erste bevölkerten. Auch wenn es an diesem Abend gar nicht gespielt wurde (Warum sollte man das auch im Ausland kennen?), so war die ganze Zeit das Lied „Auf uns“ von Andreas Bouran in meinem Kopf, dass das Deutschen Fernsehen als WM-Lied verwendet hatte. „Ein Hoch auf uns, auf dieses Leben“ und „Ein Feuerwerk aus Endorphinen“ – das trifft die Stimmung an diesem Abend und in dieser Nacht wunderbar.

Als ich das Jahr Auszeit begann, da hatte ich eine schwere gesundheitliche Durststrecke hinter mir. Ich konnte in dem Moment nicht sagen, warum ich mich überhaupt da durchgekämpft hatte, denn ich sah nichts, wofür sich das gelohnt hätte. Jetzt habe ich innerhalb von drei Monaten erst einen der schönsten Momente in meinem Leben erlebt und dann ein gewonnenes WM-Finale. Sicher, auch das geht vorbei, aber diese Erfahrungen bleiben in meiner Erinnerung. Da ich ein gutes Gedächtnis habe, wirken sie noch lange bei mir nach. Und in diesen Zeiten, da kann auch ich ohne Vorbehalt sagen: Das Leben ist schön.

Aus einem Spiel das Beste machen

Ich habe die Fußball-WM bewusst soweit es geht ausgeklammert aus diesem Blog, aber darüber muss ich dann doch schreiben. Selbst bei meinen Reiseplänen habe ich keine allzu große Rücksicht auf Spiele mit deutscher Beteiligung genommen und erst ab dem Viertelfinale entschieden, nicht in der Woche mit dem Halbfinale wegzufahren.

„Deutschland gewinnt gegen Brasilien in Brasilien – und zwar 7:1.“ Hätte mir das jemand vor gestern abend gesagt, meine Reaktion hätte in etwa so gelautet: „Ich weiß ja nicht, was Du für Drogen nimmst, aber Du solltest damit aufhören.“

Von all den Rekorden und Bestleistungen, die in diesem einzigen Spiel aufgestellt wurden, wage ich aus Platzgründen nur drei zu nennen: Der höchste Sieg gegen Brasilien und erst der fünfte überhaupt, der altgediente Stürmer Miroslav Klose wird alleiniger WM-Torschützenkönig… da wird ein alternder Mann wie ich doch ganz sentimental. Inzwischen ist die Nachricht bereits einen Tag alt und der Alltag kehrt wieder ein. Wie übrigens Trainer und Spieler selbst als allererste mit bestem Beispiel vorangingen und erstaunlich nüchtern das Spiel analysierten. Es war eben noch nicht das Endspiel. Kein Grund, überschwenglich zu werden, aber einen Tag (bzw. eine Nacht) darf man als Normalsterblicher deswegen feiern.

Nun kann man sich als Nicht-Fußball-Fan fragen, wie man sich so sehr für ein Spiel begeistern kann. Klar, das muss man nicht! Aber wenn man es kann, ist das eine Möglichkeit für den Zauber des Alltags. Sich einfach mal freuen – das ist eine schöne Fähigkeit.

Ein weiteres Mal hat mir das Jahr Auszeit in die Hände gespielt. Denn so musste ich nicht am nächsten Tag arbeiten, sondern konnte spontan noch feiern gehen (in Form von abtanzen) – mitten in der Woche, bis spät in die Nacht. Ein solches Ergebnis gegen einen so großen Namen werde ich wohl in diesem Leben nicht mehr sehen – umso besser, dass ich Zeit hatte, es richtig zu genießen!