Ich habe in den letzten Wochen einige tolle Komplimente bekommen. Man sagte mir unter anderem, dass…
ich ein schönes Lächeln habe
ich ein gutes Herz habe
es schwer vorzustellen sei, dass ich jemals bitter war
Ich weiß natürlich, dass ich, um so zu sein wie ich es jetzt bin, eine lange Wegstrecke hinter mich bringen musste. Zum Überwinden der Bitterkeit brauchte es seine Zeit und mehrere Etappen.
Wie symbolisch, dass ich das Lied „Together Forever„, das mich einige Zeit lang sehr traurig und wütend machte, nun ganz einfach vor jemandem spielen konnte, und es war keine Verletztheit im Spiel, nur Hingabe.
Sogar eine alte Nummer von Elvis, die ich zugegeben vor allem über UB 40 kannte, konnte ich nun ganz einfach so auf der Ukulele spielen und singen. Es war ein weiteres Lied, dass ich zum ersten Mal überhaupt dargeboten habe.
Elvis Presley: Can’t Help Falling In Love
Den Groove zu haben bedeutet nicht, die Vergangenheit zu vergessen oder alles Schlechte auszublenden. Den Groove zu haben bedeutet, sich all seiner Fehler und Schwächen bewusst zu sein und es als ganz natürlich zu empfinden, geliebt werden zu können. Ich kann mir nicht vorstellen, was es Besseres im Leben geben könnte.
Nachdem ich letztes Mal der Vergangenheit gelauscht habe, geht der Blick heute wieder in die Gegenwart und die nahe Zukunft. Ich trage dieses Thema schon lange mit mir herum und will es mir endlich von der Seele schreiben.
Ich bin gleichermaßen durch die 1980er und 1990er Jahre sozialisiert worden, was Musik angeht. Die 1980er waren meine Kindheit, die 1990er meine Jahre als Teenager und junger Erwachsener.
Aus den 1980ern stammen viele Lieder, die auf Hochglanz arrangiert und produziert sind und sehr gefühlvoll sind. Mit ihnen verbinde ich Zartheit, Romantik, Melancholie, aber auch Leidenschaft und Hingabe.
Aus den 1990ern hingegen kenne ich viele Stücke, bei denen alte Zöpfe abgeschnitten wurden, alles bewusst spärlicher angegangen wurde und das Ergebnis of rauher klingt. Mit der Musik aus diesen Jahren verbinde ich Authentizität, Energie, Veränderung, Mut und einen Blick ohne Filter.
So kommt es, dass ich zwei sehr unterschiedliche Jahrzehnte schätze, die oft gegenteilige Aspekte und Facetten hervorheben. Aber gerade dieser scheinbare Widerspruch gefällt mir besonders gut.
Durch Zufall stieß ich auf ein Video, in dem quasi die westliche Popkultur der 1980er in einem Zusammenschnitt hervorragend eingefangen wird. Es fehlen natürlich einige europäische Aspekte (Robin of Sherwood!), aber insgesamt kommt das Gefühl des Jahrzehnts sehr gut rüber:
Boy Meets Girl: Waiting For A Star To Fall
Ich kannte das Lied, hatte es aber jahrelang nicht gehört und wusste auch nichts über die Gruppe dahinter. Und wie es so ist, wenn mich etwas interessiert, lese ich den Hintergrund und suche nach Coverversionen:
Yohanna: Waiting For A Star To Fall
Claire Richards: Waiting For A Star To Fall
Diana Vickers: Waiting For A Star To Fall
Die von Claire Richards finde ich so unglaublich kraftvoll und mit absoluter Hingabe – ganz meine Sache! Auch die Metalband At The Movies hat eine Coverversion aufgenommen, die ich jedoch nicht ganz so herausragend finde – aber immerhin bin ich so auf ihre Interpretation der Lied „We Don’t Need Another Hero“ sowie „The One And Only“ gestoßen.
Bei den beiden ruhigen Versionen von Yohanna und Diana Vickers geschah etwas Merkwürdiges: Ich wurde plötzlich traurig und dann bitter. So wie mein Selbstbild manchmal plötzlich wie ein Kippbild war, so kippte hier meine Stimmung.
Ähnlich erging es mir mit anderen Liedern. Ich entdeckte etwa eine Coverversion von Rick Astleys „Together Forever“ – eine leichte, beschwingte Jazzversion. Und so, wie ich das Stück anfangs genoss, die positive Stimmung, die Leichtigkeit, so wurde ich auf einmal schwermütig und genervt.
Together Forever (Jazz)
Ein drittes Beispiel: Ich hatte gelesen, dass das Lied Belfast Child die Melodie von „She Moved Through The Fair“ verwendet. Es gibt etwa eine Version von Sinead O’Connor, die sehr eindringlich ist. Eine bestimmte Version von Loreena McKennitt finde ich am schönsten.
Loreena McKennitt: She Moved Through The Fair
Hayley Westenra: She Moved Through The Fair (Pipes Version)
Aber ganz seltsamerweise macht mich die Version von Hayley Westenra ruhe- und hoffnungslos, fast zynisch. Was steckt dahinter?
Es hat lange gedauert, das zu verstehen. Im Kern läuft es immer auf dasselbe hinaus:
Die Vorstellung,
– Liebe könnte auch in Teenagerjahren erfüllt und glücklich sein
– es gäbe eine Liebe, bei der man Verletzbarkeit zeigen könne
– man könnte heiraten und sogar dann noch geliebt werden
und dass das alles so normal ist, dass man es in Folklore und Popkultur gießt,
das alles tut mir unglaublich weh, weil ich entweder viele Jahre oder mehrmals das genaue Gegenteil erlebt habe.
In dem Moment, in dem ich das so niedergeschrieben habe, ist es plötzlich nicht mehr merkwürdig oder verrückt, sondern absolut normal und verständlich. Ich selbst werde völlig ruhig.
Das ist ein starker Hinweis darauf, dass ich mich einer alten Angst gestellt und etwas gefunden habe, das ganz wichtig ist. Es erfordert echte moderne Männlichkeit, einige falschen Lehren zu erkennen. Bislang war ich „Wenn Du Dich schlecht fühlst, bist Du selbst daran Schuld und beweist das einen persönlichen Defekt.“ oder „Du darfst das gar nicht fühlen!“ gewohnt. Das ist beides völliger Blödsinn und emotional absolut unreif.