Vergeben statt vergessen

„Forgive them, even if they are not sorry“
– Julian Casablancas: 11th Dimension

Ich bin auf der Suche nach dem verlorenen Groove. Zwölf Blogeinträge fassen jeweils alle Blogeinträge aus einem Quartal zusammen:

Letzte Woche schrieb ich noch, dass es noch viel zu lernen gibt. Die nächste wichtige Einsicht habe ich schneller erlangt, als ich es erwartet hätte. Jemand drückte gegenüber mir die Zuversicht aus, dass ich eines Tages alles verzeihen könnte – und zwar anderen Leuten, die mich schlecht behandelt haben. Was für ein Vertrauen, welch eine Wertschätzung! Und tatsächlich: In diesem Moment dachte und ich fühlte ich zum ersten Mal: Selbst diese größten Verletzungen sind nicht so wichtig, als dass ich bis zu meinem Lebensende an ihnen festhalten müsste. Und ich erinnerte mich an etwas, das ich früher gelernt hatte: Ich bin nicht meine Erinnerungen, mein Schmerz oder meine Enttäuschungen.

Aber ist das nicht leichtfertig, beschlossen in einem Moment, in dem es mir sehr gut geht? Werde ich das nicht später bereuen? Ich glaube nicht, denn ich habe einen wichtigen Fehler erkannt:

Es ist gut, vergeben zu können. Dafür braucht man nicht zu vergessen. Das ist wichtig, denn letzteres fällt mir sehr schwer. Schlechte Erfahrungen halten sich bei mir sehr lange.

Ein einfacher Test reicht: Wie war es, als ich in der Vergangenheit jemandem verziehen habe, der mir aus meiner Sicht das Leben schwer gemacht hat? Das fühlte sich gut an und war eine Befreiung. Ich war froh, mich nicht mehr an alten Sachen festhalten zu müssen. Dafür braucht man sich nicht selbst zu verleugnen.

Ich habe das lange Jahre genau falsch herum gemacht: Ich hatte immer versucht zu vergessen, ohne zu vergeben. Die guten Zeiten hatten sozusagen das Ziel, die schlechten vergessen zu machen. Aber Verdrängen ist kein guter Umgang mit negativen Erlebnissen. Dadurch kann man nicht lernen. Ich war immer auf die falsche Sache fokussiert. Es ist viel wichtiger, schwarzen Punkten in der Vergangenheit ihre Bedeutung zu nehmen, so dass sie einem nicht mehr weh tun. „Du kannst nicht vor Dir selbst weglaufen.“

Ich wurde mir in den letzten Tagen bewusst, wie sehr die Selbstvernachlässigung da mit hereingespielt hat. Dadurch, dass ich meine eigenen Bedürfnisse phasenweise immer unterdrückt habe, konnte ich irgendwann nicht mehr vergeben, weil ich keinerlei Spielraum für Nachgiebigkeit mehr hatte. Es war also nicht nett, meine eigenen Ansprüche immer zurückzustellen – irgendwann war das Konto leer und dann konnte es nur noch um mich gehen.

Und so lerne ich ein weiteres Mal, dass es im Leben nicht um „Ich oder Ihr“ geht. Meistens geht es darum, „Ich bin ok, Du bist ok“ zu erkennen oder Rahmenbedingungen für solche Situationen zu schaffen. Es ist kein Luxus, sein Leben so zu führen, dass man so handeln kann.

Julian Casablancas: 11th Dimension